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Definition des groben Behandlungsfehlers

1. Der Begriff des groben Behandlungsfehlers in der Rechtsprechung

 

Der Bundesgerichtshof definiert den groben Behandlungsfehler folgendermaßen:

 

„Ob ein schwerer Behandlungsfehler vorliegt, richtet sich nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls. Die Würdigung liegt deshalb weitgehend im tatrichterlichen Bereich. Jedoch muss diese Würdigung erkennen lassen, dass nicht schon ein Versagen genügt, wie es einem hinreichend befähigten und allgemein verantwortungsbewussten Arzt zwar zum Verschulden gerecht, aber doch, passieren kann. Es muss vielmehr ein Fehlverhalten vorliegen, dass zwar nicht notwendig aus subjektiven, in der Person des Arztes liegenden Gründen, aber aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabs nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht, schlechterdings nicht unterlaufen darf`. Das kann etwa der Fall sein, wenn auf eindeutige Befunde nicht nach gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagieren wird, oder wenn grundlos Standardmethoden zur Bekämpfung möglicher, bekannter Risiken nicht angewandt werden, und wenn besondere Umstände fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können.“ (VI ZR 270/81 Eintscheidung des BGH vom 10.05.1983)


oder

 

"Ein grober Behandlungsfehler setzt nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordert auch die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf " (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.06.2001, VI ZR 286/00)

 


2. Konkretisierung der Definition des groben Behandlungsfehlers in BGH


Beweisbeschluss LG Neuruppin 29. Februar 2008


3. Praktische Anwendung der Definition

 

Wie lässt sich die doch sehr abstrakte Definition des Bundesgerichtshofs nun in der Praxis anwenden?

 

Ein grober Behandlungsfehler liegt unter Berücksichtigung der dargestellten Definition des Bundesgerichtshofes dann vor, wenn der gerichtliche Sachverständige für die durchgeführte bzw. unterlassene Behandlungsmaßnahme keinen vernünftigen Grund mehr feststellen konnte, denn dann kann das ärztliche Verhalten nicht mehr als verständlich bezeichnet werden. Hierzu muss man sich überlegen was es eigentlich bedeutet, wenn der medizinische Sachverständige vorträgt, dass es für ein ärztliches Verhalten aus medizinischer Sicht keinen vernünftigen Grund mehr gibt. Dies heißt nämlich nichts anderes, als dass der Arzt in so hohem Maß gegen Behandlungsregeln oder medizinische Erkenntnisse verstoßen hat, dass sein Verhalten auch aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint. Gibt es aus medizinischer Sicht keinen Grund mehr der ein ärztliches Verhalten rechtfertigen könnte, so heißt das objektiv betrachtet eben gerade, dass sich der Arzt nicht mehr weiter vom anzuwendenden Facharztstandard hätte entfernen können, er also einen Fehler begangen hat, der ihm schlechterdings nicht hätte unterlaufen dürfen. Ein solcher Fehler lässt sich daher nur noch als grob bewerten.

 

Wie die Definition des Bundesgerichtshofs in der Praxis zur Anwendung kommt, zeigt der Ausschnitt eines Urteils des Oberlandesgerichts Hamm. Der Entscheidung der Richter für das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers liegt auch hier die Formulierung des Sachverständigen zugrunde, das ärztliche Verhalten sei aus medizinischer Sicht nicht mehr verständlich:

 

"(...) Dem Beklagten fällt ein grober ärztlicher Organisationsfehler (und somit ein grober Behandlungsfehler) zur Last, nämlich ein Fehler, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist. So haben aus medizinischer Sicht die Sachverständigen das Verhalten des Beklagten bewertet. Der Sachverständige Prof. Dr. P hat festgestellt, es sei nicht verständlich, dass der Arzt den Eltern diese Schwäche der eigenen Methodik nicht mitteile. Auch der Sachverständige Prof. Dr. A hat festgestellt, es sei unverständlich, dass der Beklagte im Rahmen der Informationsveranstaltung nicht zwischen einer geplanten Sectio und einer (dem Beklagten nicht möglichen) Notfall-Sectio unterschieden habe; für den Laien entstehe so der Eindruck, er sei im Notfall in der Praxis des Beklagten gut aufgehoben. Der Senat stimmt der überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen aus juristischer Sicht zu." (Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 30.05.2005, 3 U 297/04)

 

Dass die Unverständlichkeit des ärztlichen Verhaltens dann erst gegeben ist, wenn sich der Arzt so weit vom medizinischen Standard entfernt hat, dass eine Steigerung dieser Entfernung nicht mehr möglich ist, zeigt folgendes Urteil des Bundesgerichtshofs: 

 

"(...) Insoweit ist auch von Bedeutung, dass das Berufungsgericht zuvor bei der Befragung des Sachverständigen zur Schwere eines Behandlungsfehlers der Beklagten zu 2 gezielt nach dessen Einstufung als grob gefragt und der Sachverständige daraufhin geantwortet hatte, es handle sich zweifellos um eine "Abweichung vom Standard", er könne aber die Frage nicht beantworten, ob er solches Verhalten wegen der Nichtvorlage der Überweisung und der Röntgenbilder durch den Kläger als unverständlich bezeichnen solle. Hieraus geht hervor, dass der Sachverständige - durchaus zutreffend - allein in einer Abweichung vom medizinischen Standard noch keinen groben Behandlungsfehler gesehen hat, sondern sich über das Erfordernis zusätzlicher Kriterien im Klaren war (...)." (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.05.2002, VI ZR 42/01)

 

Beispiele für Behandlungsfehler, die von der Rechtsprechung als grob eingestuft wurden, finden sich unter dem Link "Fallbeispiele". 

 

3. Beurteilung der Unverständlichkeit: Welcher Maßstab ist der richtige?

 

Die Frage, ob es sich bei einem Behandlungsfehler um einen "groben" Behandlungsfehler handelt, ist nicht nach der subjektiven Einschätzung durch den betroffenen Patienten oder des behandelnden Arztes bzw. Krankenhauses zu beurteilen, sondern nur nach den objektiven Gesichtspunkten des anzuwendenden Facharztstandard. Es ist also nicht darauf abzustellen, ob der Patient den ärztlichen Fehler, durch welchen er geschädigt wurde, als besonders schlimm einschätzt bzw. empfindet oder der behandelnde Arzt meint, dass es sich subjektiv nur um ein "Missgeschick" handelt, was durchaus auch mal passieren könne.

 

Ein Behandlungsfehler kann also einerseits objektiv nicht als grob zu bewerten sein, obwohl der betroffene Patient ihn als besonders schlimm empfindet. Andererseits kann aber auch ein Behandlungsfehler, den der Arzt selbst "bloß" als "Missgeschick" betrachtet, selbstverständlich nach dem objektiven Maßstab als grob zu qualifizieren sein. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass weil es bei der Beurteilung ärztlichen Verhaltens nur auf einen objektiven Facharztstandard ankommt, auch ein Fehler welcher aus subjektiver Sicht als "Missgeschick" zu beurteilen ist, auch ein grober Behandlungsfehler sein kann. Hierzu haben die Richter des Bundesgerichtshofes folgendes ausgeführt:

 

"...Nach der Rechtsprechung hängt es von den Besonderheiten des einzelnen Falls ab, ob den operierenden Ärzten ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass sie im Operationsgebiet einen Fremdkörper zurückgelassen haben. Jedenfalls müssen sie alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen gegen ein solches Missgeschick treffen, wozu bei textilen Hilfsmitteln deren Kennzeichnung, eine Markierung, das Zählen der verwendeten Tupfer und dergleichen gehören können. Im Einzelfall kann unter der Außerachtlassung solcher gebotenen Maßnahmen auch ein grober Behandlungsfehler liegen." (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.01.1981, VI ZR 138/79)

 

Hier haben die Richter also einen groben Behandlungsfehler angenommen, obwohl man das Vergessen von Operationsgegenständen im Körper des Patienten landläufig subjektiv "bloß" als Missgeschick bezeichnen würde.

 

4. Folge eines groben Behandlungsfehlers


 Wurde ein Patient durch einen groben Behandlungsfehler geschädigt, so wird ihm seine Situation im Prozess insofern erleichtert, als es zu seinen Gunsten zu einer Beweislastumkehr kommt. Doch was verbirgt sich hinter dem so oft verwendeten Schlagwort der Beweislastumkehr überhaupt?  Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst vor Augen halten, wer in einem Prozess normalerweise was zu beweisen hat.


Näheres hierzu finden Sie unter dem Link "Beweislast".

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