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Funktion des Schmerzensgeldes

Um überhaupt verstehen zu können wie Schmerzensgeldbeträge berechnet werden, ist es zunächst erforderlich sich über die Funktion des Schmerzensgeldes Gedanken zu machen.

 

Warum wird überhaupt Schmerzensgeld bezahlt?

 

Diese Frage haben die Richter des Bundesgerichtshofs in ihrem Beschluss vom 6.7.1955, GSZ 1 /55, wie folgt beantwortet:

 

"Der Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB ist kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit einer doppelten Funktion: Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat."

 

Dem Schmerzensgeld kommen somit zwei Funktionen zu:

 

1. die Ausgleichsfunktion

 

2. die Genugtuungsfunktion

 

Was sich hinter diesen Begriffen verbirgt, soll im Folgenden erklärt werden.

 

1. Die Ausgleichsfunktion

 

Wurde ein Patient durch einen Behandlungsfehler geschädigt, so kann der gesundheitliche Zustand, welcher vor dem Behandlungsfehler bestand, meist nicht wiederhergestellt werden. Eine tatsächliche Wiedergutmachung des Schadens ist also oft gar nicht möglich. Es kann allenfalls versucht werden, die erlittenen oder zukünftig zu erwartenden Beeinträchtigungen durch die Zahlung einer Geldsumme auszugleichen und es dem Geschädigten dadurch zu ermöglichen, sich Erleichterungen in der durch die Schädigung veränderten Lebenssituation zu verschaffen.

 

Auszugleichende Beeinträchtigungen sind dabei nicht nur Körperschäden im eigentlichen Sinne, sondern zum Beispiel auch subjektive Empfindungen, die durch die Schädigung hervorgerufen wurden, oder auch eine Veränderung der sozialen und beruflichen Stellung.

 

Doch wie ist zu verfahren, wenn der Verletzte eine Beeinträchtigung gar nicht empfindet, da er aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes hierzu nicht mehr imstande ist?

 

Früher vertrat der Bundesgerichtshof die Ansicht, dass ein Ausgleich von Beeinträchtigungen überhaupt nur dann in Betracht komme, wenn diese Beeinträchtigungen vom Geschädigten auch als solche wahrgenommen würden. Diese Überlegung wurde vor allem in Fällen schwerer Hirnschädigungen relevant, in denen die Geschädigten oft gar nicht mehr zur Wahrnehmung von Beeinträchtigungen fähig sind.

 

Von der Ansicht, dass in derartigen Fällen gar nichts (oder weniger) ausgeglichen werde müsste, sind die Richter des Bundesgerichtshofs in ihrem Urteil vom 13.10.1992, VI ZR 201/91, abgerückt und verstehen seither die Ausgleichsfunktion wesentlich weiter. In dem zu entscheidenden Sachverhalt litt die Klägerin aufgrund eines Behandlungsfehlers während ihrer Geburt unter folgender schweren Hirnschädigung:

 

"In geistiger und seelischer Hinsicht entspricht der Entwicklungsstand der Klägerin des einen wenige Monate alten Säuglings. Die Wahrnehmungsfähigkeit geht über Perzeption und reflektorische Reaktion kaum hinaus. Die Begriffs- und Konzeptbildung als Grundlage der Erlebnisfähigkeit beschränkt sich auf einfachste Kategorien wie "angenehm/unangenehm". Die Klägerin besitzt nicht die Fähigkeit zum Sprechen, sie kann nur Lautäußerungen zur Kundgabe allgemeiner Wohl- oder Unlustgefühle von sich geben. Sie verfügt in eingeschränktem Maß über Gefühlswahrnehmungen wie Freude, Wohlgefühl und Unlustgefühl, letzteres im Zusammenhang mit physikalischen Schmerz- und Geschmackswahrnehmungen. Die Erlebnisfähigkeit ist zusätzlich durch die Einnahme antiepileptischer Medikamente eingeschränkt.
Das Berufungsgericht stellt ferner fest, dass die geistige und seelische Behinderung vor allem die Erlebnisfähigkeit und damit die Leidensfähigkeit beeinträchtige."

 

Trotz der beeinträchtigten Leidensfähigkeit gingen die Richter dann aber von einer höheren Schmerzensgeldbemessung aus, da die Beeinträchtigung hier in der vollständigen Zerstörung der Persönlichkeit bestehe, mit der eine verminderte Erlebnisfähigkeit gerade einhergehe:

 

"Eine solche Reduzierung des Schmerzensgeldes auf eine lediglich symbolhafte Entschädigung hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr für gerechtfertigt. Sie wird der nahezu vollständigen Zerstörung der Persönlichkeit des Verletzten in Fällen schwerer Hirnschädigung nicht gerecht. Insofern hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung, wie sie in den vorgenannten Entscheidungen zum Ausdruck gekommen ist, nicht länger fest. Beeinträchtigungen von solchem Ausmaß, wie es im Streitfall bei der Klägerin der Fall ist, verlangen mit Blick auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung in Art 1 GG eine stärkere Gewichtung und verbieten eine lediglich symbolhafte Bewertung."

 

2. Die Genugtuungsfunktion

 

Geht es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nur darum, die erlittenen Beeinträchtigungen auszugleichen oder soll durch die Zahlung auch eine Genugtuung für den Geschädigten erzielt werden und das Schmerzensgeld insoweit auch Sühnecharakter haben?

 

Vor allem im Bereich schwerster Hirnschäden hat die Rechtsprechung dem Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion beigemessen. Allerdings ist fraglich, ob in den bereits erwähnten Fällen der Empfindungsunfähigkeit durch Hirnschäden die Genugtuungsfunktion überhaupt eine Rolle spielt, da die Geschädigten hier nicht in der Lage sind, Genugtuung zu verspüren. So haben die Richter des Landgerichts Kleve in einem so gelagerten Fall gerade nicht auf die Genugtuungsfunktion abgestellt:

 

"Damit bietet die Klägerin das Bild eines völlig hilflosen Kindes mit schwersten Schädigungen und weitestgehender Zerstörung der Persönlichkeit, der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit. Der Klägerin ist jede Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen. Es ist davon auszugehen, dass sie nie Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter bewusst erleben und ihre Persönlichkeit entwickeln können wird. Ihr Leben beschränkt sich überwiegend auf die Aufrechterhaltung vitaler Funktionen. Angesichts dieser erheblichen Beeinträchtigungen und der schweren Dauerschäden, die die Klägerin erlitten hat, erscheint der Kammer ein Schmerzensgeldabfindungsbetrag von 400.000 EUR angemessen.

Neben der Schmerzensgeldabfindung ist der Klägerin eine monatliche Schmerzensgeldrente zuzusprechen. Allerdings muss die Festsetzung einer Schmerzensgeldrente neben einem Kapitalbetrag aus den Umständen des Schadensfalls gerechtfertigt sein. Dies ist bei schweren lebenslangen Dauerschäden, um die es sich hier handelt, der Fall. Eine Rente gibt dem Geschädigten die Möglichkeit, sein beeinträchtigtes Lebensgefühl stets von neuem durch zusätzliche Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu heben. Um diesem Zweck genügen zu können, muss auch die einzelne Rentenzahlung als angemessener Ausgleich für Schmerzen und verminderte Lebensfreude empfunden werden und nicht lediglich als geringfügige Einnahme, die für den laufenden Lebensunterhalt verbraucht wird." (Urteil des Landgerichts Kleve vom 9.2.2005, 2 O 370/01)

 

In dem zitierten Urteil wurde vielmehr nur auf einen "angemessenen Ausgleich" abgestellt, was seit dem oben genannten BGH-Urteil vom 13.10.1992 möglich ist.

 

Warum in den Fällen der eingeschränkten Empfindungsfähigkeit vom Eingreifen der Ausgleichsfunktion, nicht jedoch der Genugtuungsfunktion ausgegangen wird, lässt sich wie folgt erklären:

 

Selbst wenn die Leidensfähigkeit eines Geschädigten so erheblich eingeschränkt ist, dass er Beeinträchtigungen gar nicht mehr wahrnehmen kann, so sind diese doch objektiv gegeben. Im Gegensatz dazu gründet sich die Genugtuungsfunktion auf rein subjektive Elemente, nämlich auf das Gefühl des Geschädigten, dass das Unrecht welches ihm geschehen ist, wenigstens durch Geldzahlungen gesühnt wird. Zu einer solchen Empfindung sind die Geschädigten aber tatsächlich nicht in der Lage.

 

 

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Dr. med. Ulf Medicke

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